Donnerstag, 5. September 2013

Veteranentreffen der Friedenstauben im Bonner Hofgarten – 30 Jahre später




Jeder Schützenverein von Pusemuckel feiert mit Pomp und Rfftata seine Jubiläen. Die meisten von uns waren auf ihrer 20-, 30- oder 40-jährigen Abifeier. Und da soll die 30jährige Wiederkehr des 22. Oktober 1983 unbemerkt verstreichen? Des Tags, an dem wir, die Friedentauben, Geschichte geschrieben haben? Nein! (Foto: Udo Leuschner)

Vor 30 Jahren, am 22. Oktober 1983, demonstrierten in Bonn, Berlin, Hamburg und in einer 120 km langen Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm rund 1 Million deutsche Pazifistinnen und Pazifisten (im weiteren Sinne) gegen die drohende Stationierung neuer Atomraketen in Mitteleuropa.
Du erinnerst dich wahrscheinlich an Lieder dieser Zeit („Es ist an der Zeit“, „Das weiche Wasser“), an Buttons („Petting statt Pershing“), an Sprüche („Hopp, hopp, hopp! Atomraketen Stopp!“), an den Geruch der Gehwegplatten beim Die-in. Warum nicht mal die Leute von damals wiedersehen und umarmen, die alten Geschichten erzählen, die Lieder noch mal singen oder hören?

Was hat es gebracht?

Ja, die Raketen wurden dennoch stationiert. Ja, die Friedensbewegung hat sich um 1985 verlaufen. Aber 1985 trat auch eine unerwartete Folge unserer Aktivitäten ein: Ein demokratischer Kommunist, Michail Gorbatschow, wurde Generalsekretär der KPdSU und leitete die Periode Glasnost und Perestrojka in der Sowjetunion ein. Er bescherte der Welt ein sechsjähriges Experiment: Sozialismus und Demokratie, Sozialismus und Meinungsfreiheit in einem Land. Meine These als Historiker ist: Das war nur möglich, weil wir im Westen die Blockkonfrontation aufgelockert und das Kriegführen erschwert hatten.[1] Und es führte dazu, dass die Raketen, die wir bekämpft hatten, schon 1987 wieder verschwanden.
Der grüne Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei hat 1999 berichtet, dass die mit der Rüstungs­industrie verbandelten NATO-Strategen um 1990 in größter Sorge waren. Sie fürchteten, Krieg und Rüstung könnten völlig aus der Mode kommen, und die Völker und Parlamente könnten beschließen, ihr Geld nur noch für nützliche Dinge auszugeben. Demnach hatten wir es also beinahe geschafft, die Weltgeschichte in eine andere Richtung zu lenken. Das wäre doch ein Grund, stolz zu sein.

Am Samstag, dem 19. Oktober 2013 in Bonn.>>>

Erster Treffpunkt ist um 17 Uhr im Hofgarten, dort, wo damals die Bühne stand, auf der 1981 und 1983 Heinrich Albertz, Gert Bastian, Harry Belafonte, Heinrich Böll, Willy Brandt, Volkmar Deile, Erhard Eppler, Randall Forsberg, Fasia Jansen, Robert Jungk, Petra Kelly, Eva Quistorp, Uta Ranke-Heinemann, Horst-Eberhard Richter, Coretta Scott King, Hannes Wader und viele andere gesprochen oder gesungen haben. (Hast du noch eine Liste derjenigen, die am 22.10.1983 dort aufgetreten sind?)
Anschließend treffen wir uns in einem geeigneten Lokal oder Saal in der Nähe. Dort werden voraus­sichtlich ein offenes Mikrofon mit Tonanlage, eine Projektion für Fotos und Filme sowie Ausstellungs­wände für mitgebrachte Requisiten, Plakate, Fotos usw. zur Verfügung stehen. Ich kümmere mich darum; finanziert wird das durch Spenden.

Pace! Salaam! Shalom! Jens Jürgen Korff
Historiker, Texter und Autor in Bielefeld, damals Student und aktiver Pazifist in Aachen
Bielefeld, 5. September 2013
Um Anmeldung wird gebeten bis spätestens 10. Oktober 2013.
Spendenkonto: Jens J. Korff,
Kto. 164378501 - BLZ 37010050 - Postbank Köln
IBAN: DE16 4306 0967 4048 2868 00 – BIC: GENODEM1GLS
IBAN zum Kopieren: DE16430609674048286800
Stichwort Friedenstauben
Ein etwaiger Überschuss geht an Pro Asyl. Versprochen!


[1]     Weil – so meine Einschätzung – andernfalls die Militaristen in der Sowjetunion wahrscheinlich die Oberhand behalten und keinen Reformkurs zugelassen hätten. Auch Egon Bahr hat sich einmal ähnlich geäußert. Das offene Mikrofon am 19. Oktober 2013 steht dir zur Verfügung, um zu widersprechen.

Friedenstauben 1983 auf Facebook

2 Kommentare:

  1. Hallo Jens-Jürgen,

    Die Idee finde ich ausgezeichnet, sich am 19. Oktober 2o13, gut 3o Jahre danach, am Ort des Geschehens - Bonner Hofgarten -, an die damaligen Großaktionen der FB zu erinnern, sich zu fragen, was es - auch bei einem selbst - bewegt hat, und auch zu bedenken, was im Rückblick auch kritisch gesehen werden muß.

    Ich gehörte der sog. "Frühstücksrunde" an, die die Hofgarten-Kundgebung am 1o. Okt. 1981 mit vorbereitet hat. Die "Frühstücksrunde" war der Vorläufer des späteren "Koordinierungsausschusses" der FB, in dem ich auch - wenn auch nicht maßgeblich - mitwirkte.

    Das Treffen am 19. Oktober in Bonn sollte m.E. nicht nur der Nostalgie gewidmet sein, sondern, wie Du ja selbst sagst, auch Raum für selbstkritische Betrachtungen geben.

    Die FB hat wichtiges bewirkt, hatte eine Langzeitwirkung für die Veränderung des Mehrheitsbewußtseins in der Bevölkerung. Sich gegen die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles zu wehren, war der Sache nach begründet und geboten. Die damals vorherrschende Sicherheitspolitik, die auf das "Gleichgewicht des Schreckens" mit atomaren Waffen setzte, war brandgefährlich. Diesen damaligen Konsens der atomaren Rüstungslogik konnten wir aufbrechen. Es war gut und wichtig, was wir taten, auch wenn wir das Ziel, die Raktenstationierung zu verhindern, nicht erreichten.

    ALLERDINGS gibt es m.E auch Anlaß zur selbstkritischen Besinnung. So haben wir mehrheitlich - rückblickend betrachtet - die reale Bedrohung und das Aggressivitätspotential des Warschauer Paktes wohl unterschätzt und eher weichgezeichnet, was mich einschließt. Der Warschauer Pakt war nicht das "Friedenslager", für das er sich ausgab. Problematisch war sicher auch der erhebliche Einfluß der DKP-beeinflußten Organisationen in der FB und die Bündnispolitik des Minimalkonsenses. Auch ich gehörte damals zum DKP-Umfeld. So haben wir z.B. verhindert, daß Wolf Biermann bei den Bonner Kundgebungen auftreten konnte - kein Ruhmesblatt.

    Ich bin gespannt auf das Treffen am Sonnabend, d. 19. Oktober in Bonn !

    Jürgen-Bernd.

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  2. Auch ich erinnere mich gerne an meine Zeit in der Friedensbewegung. Es ist eine Erinnerung an leidenschaftliches Engagement, großes Zusammengehörigkeitsgefühl und interessante Begegnungen mit Menschen aus den verschiedensten Erfahrungswelten. Diesen nostalgischen Rückblick teile ich gerne mit den FriedensaktivistInnen von damals. Aus dieser Sicht spricht auch nichts gegen ein Erinnerungsritual, wie in dem vorliegenden Aufruf vorgeschlagen.



    Seit längerem schon betrachte ich mich allerdings nicht mehr jenem Zusammenhang zugehörig, der von der ehemaligen Friedensbewegung übriggeblieben ist. Deren Publikationen und Internetauftritte sind meines Erachtens durchdrungen von kruden verschwörungstheoretischen Ansichten. Analytischen Denken ist Mangelware. Schuld an Krieg und Elend in der Welt sind in dieser verengten Sichtweise stets die USA und Israel, was bisweilen auf das Regierungshandeln dieser Staaten durchaus zutreffen mag, was aber keinesfalls immer zutreffen muss, da auch jede Menge andere Akteure ihre Hände im schmutzigen und blutigen Spiel haben.



    Auch kann ich den lieben Gorbi im historischen Rückblick nicht so positiv sehen , wie es aus dem Aufruf hervorgeht („Er bescherte der Welt ein sechsjähriges Experiment: Sozialismus und Demokratie“). Gorbatschow ist mir eher als der Volltrottel in Erinnerung geblieben, der die Tore für einen Transformationsprozess geöffnet hat, in dessen Folge alte Mütterchen, die vorher zwar sehr bescheiden aber auskömmlich über die Runden gekommen waren, nunmehr vom Hunger getrieben in bitterer Kälte auf der Straße hockten und verzweifelt versuchten ihren armseligen Hausrat zu verscherbeln. Wenn wir als Friedensbewegte von damals bei einer solchen Entwicklung wirklich behilflich gewesen sein sollten, hätten wir allen Grund uns schwer zu schämen.

    Uwe Haß

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Danke für den Kommentar! Ich schaue ihn mir in Kürze an und schalte ihn frei, wenn er zum Thema passt.
Freundliche Grüße
Jens J. Korff